Ohne Moos nix los

Im Januar 2013 brach ich offiziell meine Ausbildung ab. Als ich meiner Mutter davon erzählte, weinte sie vor Glück. Endlich geht das kluge Mädchen studieren! Die erste Frage meines Papas war „und wie bezahlst du deine Miete?“ Das beschreibt meinen Gewissenskonflikt sehr treffend. Nach dem Abi war für mich klar: Ich mache eine Ausbildung. Ich verdiene Geld, ziehe von Zuhause aus und starte in mein totales independend Leben als starke Frau. Tschacka! Den Ausbildungsplatz angelte ich mir nebenbei, das Abi war zu der Zeit auch eher Nebensache. Ich war so gut, in dem was ich tat, dass ich mir nicht vorstellen konnte, mein Leben mit etwas anderem auszufüllen. Mit 17 habe ich angefangen zu kellnern und mit 18 stand fest: Meine Zukunft ist die Gastronomie. Und da ich so davon überzeugt war, fiel es allen anderen natürlich super leicht, sich in diese Gedankenschlange einzureihen und zu sagen „Die Kiki? Die macht mal ein richtig geiles Restaurant auf. Ist doch klar“ Tja, was da keinem so klar war, dass ich ein Jahr nach dem Abi, kurz vor meinem zweiten Lehrjahr, nicht nur unfähig war, zu arbeiten, sondern dass auch meine Zukunftspläne langsam eher wie Luftschlösser vom Winde verweht wurden. Naja, es war eher ein Sturm. Ein Tornado um genau zu sein. Er fegte nicht über mich hinweg sondern durch mich durch. Wirbelte alles durcheinander und hinterließ eine komplett ramponierte und in ihre Einzelteile zerlegte Kikilandschaft.
Da saß ich nun im Oktober 2013 in meinem ersten Seminar des Studiengangs, der wohl eher aus dem Zugzwang der Erwartungen gewählt wurde. Hatte 9 Monate vorher meine Ausbildung abgebrochen, nachdem ich schon 6 Monate nicht mehr arbeiten konnte und versuchte mich an der neuen Kompassausrichtung meines Lebens. Und die Dozentin des Seminars sagte etwas, was ich wohl nie in meinem Leben vergessen werde. Nicht, weil es mich so sehr berührte, sondern weil es wohl das unüberlegteste Gelaber war, was mir jemand in ihrer Position je um die Ohren gehauen hatte. Sie sagte, dass die Studienbescheinigung unsere Daseinsberechtigung in der Gesellschaft sei. Entweder gehen wir arbeiten oder wir studieren – um dann danach arbeiten zu gehen. Natürlich darf man so ein Geschwätz nicht auf die Goldwaage legen, ich war (und bin es immer noch) aber so erbost darüber, dass ich es ihr sehr übel nahm und immerhin 9 Semester später einen Text darüber schreibe.
Denn genau diese Ansicht, nämlich dass man nur als arbeitendes Mitglied wirklich zur Gesellschaft gehört und somit ihre Vorteile verdient, hat mich zuletzt an meine körperlichen und vor allem an meine seelischen Grenzen gebracht. Aber was, wenn man nicht arbeiten kann? Die Möglichkeit, dass es Menschen gibt, die einfach nicht arbeiten WOLLEN lassen wir hier jetzt außen vor, das muss jeder für sich entscheiden und seinen Weg finden. Aber wenn du gerne arbeitest und dies machst, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen und dann eine Krankheit dazwischenkommt, die dich dazu bringt, dich super unnütz und weniger wert als alle anderen zu sehen, dann Herzlichen Glückwunsch zum Krisensalat. Und nach gefühlten hundert Stunden Therapie (vllt waren es sogar mehr) kommt dann eine Lehrperson in den Raum, die es schafft, dir 9 Monate intensives Arbeiten an und mit dir unnütz vorkommen zu lassen – weil du eben weder arbeiten konntest noch den Bachelor in 6 Semestern schaffen wirst. Bittere Erkenntnis.
Ich bin im Nachhinein all meinen Therapeuten und Freunden sowie Leidensgenossen dankbar, dass ich durch sie und mit ihnen an den Punkt gekommen bin, an dem ich sagen kann „Alleine, dass ich auf dieser Welt lebe, gibt mir das Recht, zu machen was ich für richtig halte.“ Natürlich mit der Einschränkung, dass ich dadurch niemanden verletze oder ihm sein eigenes Recht beschneide. Aber im Grunde geht es mir genau darum: Wer zur Hölle darf dir sagen, was dich zu einem rechtmäßigen Teil der Gesellschaft macht? Wer verdammt noch mal hat das Recht, dir zu sagen, du bist weniger wert, weil du Erwartungen von ANDEREN nicht erfüllst? Niemand. Absolut niemand. Fight for your fucking right! Ohne hier den Sinn oder Unsinn des Lebens herausfinden zu wollen ist mir DAS nach dem ganzen Geschreibe das Wichtigste: Tu, was dich glücklich macht. Kündige deinen dich auffressenden Job. Brich das doofe Studium ab, wenn es dich so unglücklich macht. Gönne dir eine Lücke im Lebenslauf, wenn du dadurch näher an deinen Seelenfrieden kommst.
Ich bin kein Fan von abgedroschenen Lebensweisheiten aber es stimmt, was die Leute sagen: In Zeiten von Krankheit werden die wirklich wichtigen Dinge sichtbar. Und das wichtigste in deinem Leben bist du. Logisch, ohne dich gibt’s auch dein Leben nicht. Also kümmere dich um dich. Sei gut zu dir. Keine 60-Stunden Woche, kein Geld, keine dicke Karre, keine Party kann dir das Gefühl von Selbstzufriedenheit geben. Aber für mich ist das mittlerweile das wichtigste: Frieden mit mir selber. Damit der Drache keinen Terror machen muss.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0