Reden ist Silber. Akzeptieren Gold

Vor ein paar Tagen war ich mit meinen Eltern Kaffee trinken. Zur Zeit brauche ich wieder sehr viel mehr Raum für mich und sehe deswegen meine Liebsten nur eher selten. Und wie das so beim Kaffeekränzchen mit den Eltern ist: Die Frage „Und, wie läuft es so, Gürkchen?“ lässt nicht lange auf sich warten. Ich bin sehr froh, dass ich diese Frage heute ehrlich mit „nicht besonders gut“ beantworten kann. Denn eine frühere Kiki, Kiki 1.0 quasi, hätte gesagt, dass es gut läuft – wie immer halt. Bei mir läuft es zwar, aber (danke Facebook) bergab und rückwärts. Aber so etwas auszusprechen bedeutet, dass es stimmt. Dass es real ist. Dass es mir WIRKLICH nicht gut geht. So ganz offiziell. Solange nur im Kopf ein paar Geister ihr Unwesen treiben kann man den seelischen Unfrieden auf die lebhafte Fantasie schieben. Wenn man es jedoch ausspricht, es verwirklicht, dann kommt darauf eine Reaktion. Und vor dieser Reaktion fürchtet man sich. Man fürchtet sich so sehr, dass man die spukenden Geister mit Ablenkung bei Laune hält. Zumindest eine gewisse Zeit. Manche schaffen diese von innen auffressende Maskerade über Jahre, wenn nicht sogar ihr Leben lang. Und ich meine wirklich, dass sie es SCHAFFEN. Weil diese Zerreißprobe der Persönlichkeit geheim zu halten wirklich eine Leistung ist. Für den Körper, das Herz und die Seele. Ich habe nicht geschafft, sie zu verstecken. Wie gesagt, sobald meine Truhe für unangenehmen Gefühlskram und ungestillte Bedürfnisse voll ist sprudelt es nur so aus mir heraus. Auf ganz unangenehme Art und Weise. Durch hartes Training habe ich gelernt, wie man Emotionen wie Angst und Trauer kommuniziert, ohne dabei Schweißausbrüche zu bekommen. So war es nämlich bei mir, wenn ich vor mir und jemand anderem eingestehen musste, dass ich verängstigt oder traurig war. Auch jetzt, heute, ist es mir unangenehm. Die Scham ist nicht gänzlich verschwunden. Aber im Endeffekt bringt es mir ja nichts, zu lügen. Eine Maske zu tragen. Seit der Therapie bin ich sehr offen mit meinen Erfahrungen mit den Depressionen. Ich muss es keinem ungefragt auf die Nase binden, aber wenn der Gesprächsverlauf oder gezielte Fragen zu diesem Thema führen, dann bin ich gerne bereit, meine Erlebnisse zu teilen. Eine Sache ist mir dabei besonders aufgefallen: Es erleichtert mir meinen eigenen Umgang mit der Erkrankung. Denn umso häufiger ich davon erzähle, je mehr Menschen davon wissen und sie nicht wie ein Geheimnis behandeln, desto normaler kommt es mir selbst vor. Meine Verrücktheit erscheint gar nicht mehr allzu besonders, im besten Falle treffe ich sogar auf jemanden, der auch einen Drachen bei sich hausen hat. Aber vor allem erleichtert es mir den Rechtfertigungsdrang, wenn auf die Frage „wie geht’s dir, Kiki?“ nur ein „nicht gut“ folgen kann. Dieser kleine Dorn im Kopf, der mir sagt, dass mein Gegenüber nicht versteht, WIESO es mir schlecht geht, ist zwar noch da, aber er bereitet mir keine betäubenden Kopfschmerzen mehr. Denn ich habe während des stationären Aufenthalts gelernt, dass es nicht darauf ankommt, ob dein Gegenüber immer versteht, was gerade bei dir los ist. Wichtig ist, dass er akzeptiert, dass es dir schlecht geht. Ich weiß nicht wieso der Mensch dazu neigt, etwas abzulehnen, was er nicht versteht. Aber dieses Verhalten scheint sich stark auf unser Miteinander auszuwirken. Wenn wir nicht nachvollziehen können, wieso der andere sich gerade so und so fühlt, dann neigen wir dazu, ihm nicht zu glauben. Außerhalb unseres Vorstellungsvermögens werden Emotionen als unwahr eingestuft. Aber eigentlich ist das völliger Blödsinn. Uneigentlich auch. Denn nur weil ICH mir nicht vorstellen kann, wie sich der andere fühlt, heißt das doch noch lange nicht, dass er sich nicht so fühlen kann. Das denke ich zumindest. Und ich habe es erlebt, wie es ist, wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie sich andere Menschen fühlen. Auf der Station in der Uniklinik gibt es zwanzig Betten. Dschungelcamp nur ohne Voting. Aber mit wirklich fieseren Aufgaben. 20.000 Kakalaken sind nichts gegen einen feuerspuckenden Drachen, der rasend vor Wut und völlig außer Kontrolle ist, glaubt es mir. Naja, und alle diese zwanzig Menschen, inklusive mir, haben anscheinend ein Problem, sonst wären sie nicht dort. Und da der Name der psychosomatischen Station fett am Eingang steht ist auch jedem spätestens beim Einzug klar, dass man dort an das Eingemachte seiner seelischen Abgründe geht. Um die letzten Schätze dieses Wracks zu bergen und mit ihnen in neue Gewässer aufzubrechen. Und wir, die zwanghaften Zwanzig, haben alle gemeinsam Therapiestunden, Essenszeiten und Mehrbettzimmer. Sich dort von den Gefühlen deiner Mitpatienten komplett abzuschotten und diese aus deinem Kosmos zu verdrängen ist meiner Meinung nach ein Ding der Unmöglichkeit. Solange du natürlich selbst auch möchtest, dass deine Emotionen und Sorgen für voll genommen werden. Egal ob sie jemand versteht oder nicht. Ich habe in den zwei Monaten dort einen Crashkurs in Akzeptanz bekommen und das ist etwas, das ich mit diesem Blog gerne erreichen möchte. Ein bisschen mehr Akzeptanz für Gefühle, Emotionen und Ängste. Egal, ob man diese versteht oder nicht. Denn ich möchte offen und ehrlich sagen können „mir geht es nicht gut“ ohne mich dafür RECHTFERTIGEN zu müssen. Dass besonders die Menschen, die mich lieben, zumindest den Versuch einer Verbalisierung meiner Probleme wünschen ist für mich völlig verständlich. Und so sind wir wieder bei der Kommunikation. Mein Workload in Form von Beschreibungsversuchen meines Drachenkampfes zahlt sich am Ende mit Akzeptanz aus. Und wenn es jemand auch nach mehreren Versuchen immer noch nicht glauben will, dass es meinen Drachen wirklich gibt, dann – Entschuldigung – fuck you. Und schade für dich, denn es schadet niemandem, seinen Horizont zu erweitern.

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