Let's get ready to rumble!

Ich habe nie an meiner Intelligenz gezweifelt. Dass ich klug bin weiß ich nicht nur, weil meine Eltern mir das immer gesagt haben, sondern weil ich auch ohne viel Lernerei gute Noten in der Schule hatte. Aber seit der Erkenntnis, dass mich ein Drache wahrscheinlich mein Leben lang auf Trapp halten wird, fragte ich mich schon manchmal, ob mir nicht doch ein paar mehr Gehirnzellen unterstellt werden, als tatsächlich vorhanden sind. Denn seitdem muss ich mir immer wieder eingestehen, dass ich echt nicht alles weiß. Beziehungsweise mein Herz anscheinend zu dumm ist, das vom Gehirn Verarbeitete zu verstehen. Also ich weiß, dass ich kein Loser bin aber ich fühle es nicht. Trotz meines gescheiten Geistes hat mein kleines, dummes Herz nur ein Fragezeichen auf der Stirn. Nun hat die Verarbeitung meiner Emotionen im Gehirn viel mehr Feuer unterm Hintern und mein Herz tanzt lieber zu Mambo No. 5 oder hält einen zügellosen Drachen davon ab, mein verletzliches Inneres in Brand zu setzen. Kurz: Es braucht länger als mein Gehirn. Das bedeutet nicht, dass es dumm oder naiv oder dämlich ist. Das ist eine Tatsache, die ich nicht ändern kann. Seit ich aber angefangen habe, mich dem Drachen zu zuwenden und mir seine Sorgen anhöre, habe ich das Gefühl, ich muss mich mit vielen Dingen abfinden, die ich nicht ändern kann. Klar, geht jedem so. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber genau darum geht es ja: ich weiß, dass es anderen auch so geht, aber ich fühlemich trotzdem so. So.. was? Ja so was eigentlich. So machtlos? So ausgeliefert.. So ohnmächtig. Vor allem mir selbst gegenüber, meinem Körper. Ständig hat er irgendwas, dauernd braucht er eine Sonderbehandlung. Oder gelangt an den falschen Arzt, der erstmal alles schlimmer macht. Klar, et hätt noch emmer joot jejange. Aber erstmal kommt irgendein Schock. Chronisches Rückenleiden, sechs Wochen Salmonellen und eine vermasselte Hals-OP. Ich wurde dreimal vom Auto angefahren. WG-Gezanke mit dem Echsenroomie. Ich werde unvorbereitet auf ein Karussell geschubst und es geht gleich von Stufe 1 zu Stufe 5. Kein langsames „Seid ihr alle b-b-b-beeeeereeeeiiit für B-b-b-b-breeeaaak Daaaaaanceee?“ um dann pro Stufe einen Überschlag dazu zuschalten. Nein, das Ding geht sofort in die Vollen und innerhalb einem Siebtel einer Sekunde schleudert es mich durch alle Phasen der Trauerbewältigung durch bis wir bei „Akzeptanz“ angelangt sind und es ruckartig zum Stehen kommt. Die Tür schwingt auf und Jahrmarktmitarbeiter zerren mich aus der Kabine. Aussteigen bitte! Mir ist schwindelig, ich glaub mir wird schlecht.. Was war das? Da ist etwas passiert und irgendwie rast alles an mir vorbei – nur die schlimmen Momente, die gehen qualvoll langsam vorüber wie eine Freitagabendshow mit Mario Barth. So wie die Autofahrt mit Papa am Steuer, nachdem es hieß „orthopädisches Korsett oder Rollstuhl, das sind Ihre Möglichkeiten.“ Oder die Tage auf Morphium, nachdem sie die Narbe am Hals ohne Narkose wieder aufmachen mussten. Irgendwie hatte sich da eine Sepsis entwickelt. Oder, oder, oder.. Eingebrannt wie das Abzeichen eines noch lebenden 160g-Filets sitzen diese Erinnerungen in mir drin. Und wenn ich an sie denke, dann spüre ich Wut und Trauer. Und ich merke, wie sich der Drache in mir aufbäumt und mir sagt, wie ungerecht es ist. Dass ich Recht habe, wenn ich mich immer wieder aufrege und die Ärzte verteufle und das Schicksal hate oder dem Zufall an den Kragen will. Er feuert mich an bei meinem Kampf mit mir selbst. Er setzt auf mich, denn meine Wut, mein Kampf, ist sein Leben. Er wächst mit jedem Tag, den ich mich darin verliere, dass ich Dinge nicht akzeptiere. Lacht mich sogar aus, weil ich vor nicht allzu langer Zeit über Ficke und ihre heilende Wirkung geschrieben habe, obwohl ich auch nach tausendmal Ficke zu all den Narben, den Krankengymnastikstunden, den Krankenhauswartezimmern und Arztpraxen sagen nicht nach vorne schauen kann. Wobei, ich schaue nach vorne. Und laufe immer, immer wieder in den Ring. Als gäbe es keine andere Möglichkeit halte ich verkrampft daran fest, dass ich Dinge nicht hinnehmen kann. Sie nicht akzeptieren will. Es ist als zerrte mich mein Drache immer wieder zum Ring, schreit mir in mein Ohr, dass ich es mit genügend Willenskraft schaffen kann, die Akzeptanz zu besiegen und das Unvermeidbare abzuwenden. Er stopft mir den Mundschutz wieder rein, wischt mir den Schweiß aus dem Gesicht und gibt mir einen Schubs. Du weiß, dass du es kannst! Du bist doch stark, du bist klug, du bekommst was auch immer du nur genug willst. Aber so langsam werde ich müde. Mein Gegner bin ich selbst, ein recht ausgeglichener Kampf. Schon fast langweilig. Monoton kämpfe ich gegen mein Spiegelbild und spüre seit langem die gleichbleibende Ohnmacht. Wie Glaswolle umhüllt mich das Gefühl einer ausweglosen Wut, die den Drachen füttert. Und ich will es nicht mehr aber bin gefangen in diesem Schlagabtausch. Gefangen, weil die Karussellfahrten immer so furchtbar schnell gehen, ich mich dabei nicht wehren kann, es geschehen lassen muss. Und da weder ich noch meine Eltern früher genau wussten, wie man mit solch turbulenten Rodeorides umgeht, wollte ich all den unangenehmen Terz mit Trauer und Wut und Angst lieber in eine Kiste sperren und gleich zur Akzeptanz kommen. Ich war ja schlau genug, um zu wissen, dass nach den blöden Phasen die letzte, erlösende kommen würde. Wieso also nicht vorspulen…
Mein Co-Coach, alias bester Therapeut den ich mir wünschen kann, stieg vor Kurzem mit in den Ring. Aber statt mich anzufeuern forderte er mich dazu auf, die Handschuhe auszuziehen. Er sagte, ich solle Platz nehmen und durchatmen. Patzig ließ ich mich in den schwarzen Ledersessel fallen. Ich darf mich ja wohl noch über meine blöden Schicksalsschläge aufregen. Ficke! „Sie haben mir jetzt viele Dinge erzählt, die Sie auf Grund von Krankheit, Unfällen und Operationen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt tun können. Was können Sie denn aber noch tun?“ Derartige Gedankenexperimente lassen mir die Haare zu Berge stehen. Klar kann ich eine Menge Dinge machen! Es geht mir auch nicht darum, auf die Tränendrüse zu drücken und mich zu bemitleiden. Ich weiß doch, dass ich glücklich sein muss, mit all meinen Privilegien. Nicht nur die meiner gesellschaftlichen Umgebung, auch mein Körper funktioniert im Großen und Ganzen ja ganz gut. Jedes Jahr mindestens ein chirurgischer Eingriff, Medikamente und eine Menge tomographisches Bildmaterial rechtfertigen zumindest den Krankenkassenbeitrag. Und trotzdem fühle ich es nicht. Bis zu meiner Sparring-Pause auf dem Ledersessel war diese Wissen-Fühlen-Diskrepanz gefundenes Fressen für meinen Mitbewohner. Ich bin nicht nur ein Loser, ich bin auch noch blöd. Zu doof für meine eigene Krankheit. Zu doof für meine eigenen Ratschläge. Aber da auf dem Sessel, da meinte ich ein leichtes Kippeln des Schalters im Kopf zu spüren. Der Schalter der Akzeptanz. Weil Co-Coach Mr. H. mich gebeten hat, mir doch mal etwas Zeit zu geben. Er wies mich auf die wissenschaftlichen Unterschiede der Informationsverarbeitungszeit von beteiligten Partien hin. Dass es für die emotionale Festigung einer Erkenntnis länger braucht als die bloße Erfassung ihrer Wahrhaftigkeit geht nicht nur mir so. Sondern jedem. Das bedeutet für meinen Drachen, dass selbst er einsehen muss, dass Willenskraft hierbei nicht hilft. Es ist angenehm, seine Resignation zu spüren. Er lässt den Kopf hängen und trollt sich davon. Lässt mir einen Moment zum Durchatmen. Ja, es ist Ficke aber es ist eben so. Das Herz braucht länger als das Hirn. Also, wenn ich jetzt schon weiß, dass ich mich nicht ewig gegen Erlebnisse und ihre Realität wehren kann, dann fühle ich es auch sicher irgendwann. Ich muss mir nur Zeit geben. Und die Balance halten. Das Gleichgewicht zwischen Trauer zulassen und Akzeptanz finden, das scheint meine große Aufgabe. Aber umso näher ich dieser Mitte komme, desto tiefer schläft der Drache. Und so mag ich ihn am liebsten.

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