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„This light is contagious, go, go tell your neighbours. Just reach out and pass it on!“
Das singt Emeli Sandé in ihrem Song Wonder. Ich
liebe dieses Lied, es erfüllt mich mit Licht und Wärme. Diese Stelle trifft mich immer mitten ins Herz. Denn das habe ich seit Beginn dieses öffentlichen Breittretens meiner Gedanken und Gefühle
gelernt: Dieses Licht in mir, das ist ansteckend. Und wenn in mir drin mal wieder alles dunkel und trist und schwarz und klebrig ist, dann kann ich meine Hand ausstrecken und das Licht von
jemandem nehmen, der es mir reicht. Meine Freunde und meine Familie können ganz ohne Zauberstäbe und ohne lumos das zarte Flimmern in meinem Herzen aufleuchten lassen.
Sie schaffen es, dass der Drache geblendet wird von ihrem Licht, sodass ich Zeit habe, mich zurück zu ziehen und meine Kampfstrategie zu überdenken. Oder um meine Wunden zu lecken. Oder um
einfach nur einen Moment durchatmen zu können. Die Liebe, die sie mir geben ist der Grund, wieso ich noch nicht komplett und wahrhaftig durchgeknallt bin. Jeder einzelne schafft es auf seine ganz
persönliche Art und Weise für mich da zu sein und mir zu zeigen, wie ich mich fallen lassen kann, ohne mich schwach und unwürdig zu fühlen.
Meine Therapeutin in der Klinik hat ihren Job ganz gut gemacht. Zu dieser Zeit damals waren jedoch die Gruppentherapiesitzungen die beste Selbsthilfe. Einzeltherapie gehörte trotzdem zum Programm
und so saß ich dort einmal in der Woche und ließ die Zeit eher vorüberziehen als sie zu nutzen. Nun ist so eine Therapeutin ja auch nur ein Mensch mit Ecken und Kanten und auch Therapeuten werden
mal krank. Und so geschah es, dass ich als Vertretung das Klinikoberhaupt vor mir sitzen hatte. Man stelle sich diese Frau als braunhaarigen Übermenschen vor, der leicht wie eine Feder durch den
Sumpf aus gebrochenen Seelen schwebte und gleichzeitig den fokussierten, Schritt für Schritt bedachten Jagdmarsch einer Löwin hatte. Sie war der unbeugsame Basileus des antiken Schlachtenheeres,
ein Hybrid aus Agamemnons Erhabenheit über alle Griechen und Odysseus‘ Position als „Man of the People“. Gleichzeitig die gütigste aller Königinnen, deren Reich und Volk das einzig Wahre für sie
bedeutete und das sie, falls nötig, mit ihrem Blut verteidigen würde.
Oookay.. Ganz so krass war sie wahrscheinlich nicht. Ich habe wohl zu viel Game of Thrones Unterhaltungen im Internet verfolgt. Daenerys Targaryen ist sie nicht, aber sie war schon die schlauste
und kompetenteste, und völlig zurecht als Klinikoberhaupt besetzte, Therapeutin auf der Station. Sie sagte mir bei diesem durch einen grippalen Zufall herbeigeführten tête-à-tête etwas, das einen
der vielen Knoten in mir drin löste. Es ging um mein Ablehnen der Kommunikation was meine seelischen Befindlichkeiten anging. Vor allem bei meinen Freunden und meiner Familie. Meine Logik war
folgende: Ich bin immer supidupi gelaunt und mache ganz viele Witze –woohooo- und höre immer allen zu und habe selbst immer ganz wenig eigene Probleme. Dann lieben mich alle und ich verliere
diese tollen, einzigartigen Menschen nicht. Was mir Häuptling Dr. Ichhelfedirganzeasypeasy aber deutlich sagte: „Wenn Sie diese Mauer um sich herum bauen, dann stehen Sie irgendwann ganz alleine
da. Ihre Rechnung wird nicht aufgehen. Denn jeder Angriff Ihres Drachens (Anmerkung der Redaktion: Ich lege ihr diese Worte hier in den Mund, dass bei mir ein Drache wohnt habe ich erst am
01.01.2018 verbalisiert und verschriftlicht) beschädigt ihre Mauer und Sie müssen immer mehr Mörtel und Steine anbringen, damit sie nicht einstürzt. Und dann werden Sie sich immer weiter
entfernen, von allen, die Sie eigentlich lieben.“ Schöne Scheiße. Sie hatte Recht. Ich hasse es, wenn meine so penibel zurechtgelegten Rechnungen als völliger Mumpitz entlarvt werden, den mein
Drache mir als überlebensnotwendige Haushaltshilfe angedreht hat, wie es einst ein Teleshoppingprofi fast beim Nicer Dicer schaffte. (Fun Fact: Ich habe den Nicer Dicer dann geschenkt bekommen
#läuftbeimmir.) Tja, und was tut man, wenn man den Kontakt, den Austausch mit anderen, möchte, sich aber schämt wie ein junges Pärchen beim ersten, aus Versehen entwichenen Furz? Man fängt klein
an. Babysteps. Erstmal mit jemandem reden, der schon andere peinliche Gespräche mit dir geführt hat und dir versicherte, dass sie gar nicht so peinlich sind. Tommy und ich waren wie CatDog.
Unzertrennlich, ziemlich beste Freunde, Mitbewohner. Familie. Ihm habe ich wohl zuerst von ein paar Abgründen erzählt, in die ich in der ambulanten Therapie vor der Klinik aber vor allem während
der Stationszeit geschaut hatte. Und er verstand nicht alles – zum Glück, ein unsichtbarer Mitbewohner in der besten WG der Welt reichte ja auch – aber er zeigte mir, dass es mich zu keinem
schlechteren Menschen machte. Er zeigte es mir, in dem er mich nicht anders behandelte, nicht versuchte mir zu sagen, was das Beste für mich sei. Er war einfach da. Genauso wie noch eine Reihe alter und mit der
Zeit neu dazugekommener Freunde. Sie konnten mir nicht aktiv das Schwert aus der Hand nehmen und meinen Drachenkampf für mich übernehmen. Aber sie standen neben und hinter mir, haben mit ihrem
Licht den Himmel über den Trümmern meines Herzens erhellt und mir den Weg zu den vielen Rückzugsorten gezeigt, wenn ich neue Kraft schöpfen musste. Auch meine Familie stand in ihren Reihen,
„reached out the light and passed it on“. Dieses Licht kommt in Form von Ich-hab-dich-lieb-Nachrichten, Kaffees in der Sonne, schnellen, herzlichen Umarmungen, obwohl man schon eine halbe Stunde
nebeneinander steht. Es kommt als Verabschiedungsritual am Telefon mit Papa, als Stadtbummel mit Mama. Als millionenfache Insider mit Tobi oder ewig andauernden Runninggags mit Michi. Das
Kompliment am Morgen, wenn man alles andere als schön aussieht, aber Schönheit im Hasenbau sowieso von innen kommt. Als das Du-Spiel, welches langsam immer weitere Kreise zieht. Als Like meiner
Blogbeiträge oder als Erwähnung unter dem hundertsten Hundevideo. Als Sprachnachricht morgens um fünf von partywütigen Freunden, oder als bildliche Erinnerung, dass sich jemand just in diesem
Moment wegen einer Kleinigkeit an mich erinnert.
Ich hatte einmal in meinem Leben komplett vergessen, wieso überhaupt irgendjemand mit mir befreundet sein wollen würde. Und ich habe lange mit mir gerungen, mich wirklich fast zu Tode geschämt
aber dann fand ich meine Cojones wieder und schrieb ein paar Leuten aus meinem näheren Umfeld eine lange Whatsappnachricht. Ich bat darum, mir auf die Sprünge zu helfen, weshalb sie gerade mit
mir befreundet sind. Es klingt nach fishing for compliments, das war es auch irgendwie. Aber nicht um mein eh aufgeblasenes Ego aufpushen zu lassen, sondern um dem Drachen zu zeigen, dass er
Unrecht hatte, wenn er behauptete, dass mich niemand lieb hätte und meine Selbstliebeversuche völlig ins Leere liefen, da ich mit meiner Eigeneinschätzung völlig daneben läge. Was ich als
Antworten bekam war nicht nur eine Erinnerung an meine Qualitäten als Mensch, sondern kam einer Liebeshymne gleich, die den Drachen (leider nur) fast sein Augenlicht kostete. Mir wurden so
unbeschreiblich liebe Worte zugeschickt, dass ich fast vor Geliebtheit (ich glaube das gibt es nicht. Neologismus!) explodierte. Und das zeigte mir, dass nicht die Mauer um mich herum dafür
sorgt, dass ich liebenswert bin, sondern dass die Kommunikation, das Mitteilen, das Erzählen um durch Verständnis aufgefangen zu werden dafür sorgt, dass ich näher bei meinen Liebsten bin. Und
was kann ich noch tun? Ich kann mein Licht auch weitergeben, wenn es für mich und jemand anderen stark genug ist. Ich kann Komplimente machen. Ich kann Leuten an Bahnsteigen mit ihren Rollis
helfen. Ich kann zuhören. Ich kann Ratschläge geben. Ich kann Bilder verschicken und sagen „Ich denk an dich!“. Ich kann Menschen umarmen, sie zum Lachen bringen. Seit Beginn dieses Blogs habe
ich noch etwas, was ich geben kann. Ich kann anderen zeigen, dass sie nicht alleine sind. Ich kann versuchen, Worte zu finden für etwas, was eigentlich unbeschreiblich ist. Und ihr schickt mir
die süßesten Nachrichten, macht mir umwerfende Komplimente für meinen Mut, baut mich per Handy oder vis-à-vis auf. Ihr habt Verständnis für verschobene Treffen, unbeantwortete Anrufe und
wochenlange Funkstille. Ihr zeigt mir auch ohne regelmäßigen Kontakt bei spontanen Aufeinandertreffen, dass ich euch mein – und ihr mir euer – Licht in zurückliegenden aber auf keinen Fall
vergessenen Zeiten gegeben habe. Ihr schickt mir 20-Minuten-Sprachnachrichten oder Geburtstagseinladungen. Ihr nennt mich Gürkchen oder Lieselotte oder Kleinikleini, seid seit der Zeit in Zimmer
22 an meiner Seite, schenkt mir trotz verschiedener Lebensrhythmen eure Zeit, euer Gehör und gemeinsame Momente. Wenn es eine Steigerung vom einfachen „Danke“ gäbe, sie würde dennoch nicht
annähernd beschreiben, wie dankbar ich wirklich bin. Ich wolltet ein Liebeslied? Ihr bekommt einen Liebesbrief. Danke.
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