There is no "I" in TEAM

Als ich vor 5 Jahren das erste Mal mit vollem Bewusstsein von den Flammen des Drachens verschluckt wurde, war ich allein. Nicht so richtig allein wie allein allein sondern allein wie Single. Keine Partnerschaft. Keine Verantwortung einer anderen Person gegenüber. Natürlich sind auch die Beziehungen zu meinen Eltern und meinen Freunden schwierig zu handeln, wenn man vor einem riesigen Drachen steht, der schreit und Flammen spuckt und der dir mit seinem Brüllen die Ohren klingeln lässt. Du könntest dich selbst bei schneidender Stille nicht unterhalten, deine Lippen sind gelähmt, genauso wie der Rest deines Körpers. Du stehst nur da und reißt die Augen auf und wirst mit allem Furchtbaren und Schrecklichen konfrontiert, was sich die letzten Jahre so gut verstecken ließ. Aber wenn man eine Partnerschaft führt, ein Team ist, dann spürt man den Druck, den die andere Person unfreiwillig auslöst. Nicht ausübt, wirklich auslöst. Denn dieser Druck kommt selten aktiv vom Partner oder der Partnerin. Gute Partnerschaften entstehen durch Verständnis, durch Rückhalt. Ich führe so eine Partnerschaft. Aber ich werde nicht verstanden. Verständnis ist da, ja. Aber verstehen kann er es nicht – zum Glück! Nur das bedeutet auch, dass er mich sieht, wie ich traurig bin und wütend und müde und er kann mir nicht aktiv helfen. Er kann mir nur zusehen, wie ich auf der Couch liege und den ganzen Tag Folge für Folge von einer Serie gucke, die ich eh nicht richtig verfolge. Die nebenbei läuft, während ich auf mein Smartphone starre oder mit leerem Blick den Figuren auf dem Bildschirm vor mir folge. Aber meine gedankliche Abwesenheit kommt nicht etwa von Stille in meinem Kopf, in der ich mich verliere. In mir ist es laut. In mich gekehrt aber alles andere als ruhig kämpfe ich gegen die Faustschläge meines Drachens an. Ich weiche seinen Krallen aus, Schlage mit meinen Fäusten auf ihn ein. Und wenn er müde wird und sich zusammenrollt, dann versuche ich mich anzuschleichen und seinem schlaftrunkenen Gemurmel Bedürfnisse und Ängste zu entnehmen, die ich während des Kampfes einfach nicht verstehen kann. Aber das sieht Jörg nicht. Und er versteht es nicht. Und ich kann und will ihm das nicht zum Vorwurf machen aber Kraft für die Kiki, die er 2015 kennen und lieben lernte, habe ich dann nicht. Und ich versuche ihm zu beschreiben, wie es sich anfühlt, einen unsichtbaren Mitbewohner zu haben, der einen aus dem Schlaf reißt, den Appetit verdirbt, den Kopf wäscht und das Herz fast zerquetscht. Und er kann nur versuchen, Verständnis für etwas zu haben, was er vielleicht nicht glauben würde, hätte er es nicht selbst schon als unbetroffener Mitstreiter erlebt. Denn das ist er. Er ist ein Mitstreiter, ein Teammitglied. So lange er zum Team gehören möchte. Für mich war es ungefähr eine Woche aushaltbar, ihm nichts von meinem Arschlochdrachen zu erzählen. Es fühlte sich wie Lügen an, wenn ich ihm verschwieg, dass der wöchentliche „Termin in der City“ mein Therapeutenbesuch war. Oder mir die Nähe anfangs zu erdrückend wurde und ich in mein eigenes Zimmer im Studentenheim verschwand. Und damals war es fast schon einfach, die Worte „Ich bin gestört. Aber so richtig…“ zu sagen. Wie er eben so ist hat es ihn weder abgeschreckt noch vertrieben. Er hat sich meine Kurzversion des Klinikaufenthalts und des Krankheitsbildes angehört und konnte sich damals wahrscheinlich nicht vorstellen, diese Seite an mir zu sehen. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass diese schwarze Masse nochmal Überhand und mir mein Lächeln nehmen könnte. Aber Depressionen sind ein Hurensohn und fast unberechenbar und sie kommen dich holen. Manchmal ohne, dass du es merkst. Und du wirst anders, du bist auf einmal nicht mehr die Person, die dein Partner kennenlernte und du bekommst Angst, dass es ihn vertreibt und er sich abwendet. Und der Drache wittert deine Angst, verfolgt die Spur und steht auf einmal wieder vor dir und spuckt dich voll mit deinem eigenen Selbsthass. Und er ist es auch, der es dir zum Vorwurf macht, dass du all deine Kraft brauchst, um das Tosen und Toben auszuhalten, und deswegen weniger Zeit, weniger Energie, weniger Lust für deinen Partner übrig hast. Ein verfickter Teufelskreis. Und mein Partner steht neben mir und leidet mit und ist fast genauso ohnmächtig wie ich.
Beim Football besteht ein Team auch aus zwei Parts. Offense und Defense. Und wenn die Defense auf dem Platz steht, dann fiebert die Offense mit. Sie springen bei Interceptions auf, jubeln beim Touch Down mit. Aber sie stehen am Rand. Sie können nicht eingreifen, sie müssen warten, bis sie wieder aufs Field dürfen. So ist es mit der Partnerschaft. Nur „Offense“ und „Defense“ sind da bloß namensgebende Begriffe, keine Definition der Menschen. Es gibt Betroffene und Mitstreiter. Mitstreiter feiern jeden Sieg mit dir, sie feuern dich an, pushen dich beim Training. Sie helfen dir auf nach einem Tackle und sie receiven wenn du ihnen ein Signal gibst. Aber es gibt Spielabschnitte, da stehst nur du allein auf dem Battlefield. Da bist du allein zuständig für jedes Yard, das gemacht wird. Aber das bedeutet nicht, dass ihr kein Team mehr seid. Das Team bleibt bestehen. Und feiert bei gewonnener Schlacht oder trauert bei der nächsten Niederlage gemeinsam. Nur das muss der Partner auch wissen. Das muss man ihm sagen. Niemand kann in dich oder mich oder in sie oder ihn hineinschauen. Niemand weiß von dem Drachenroomie, wenn man ihn nicht erwähnt. Und mein Teammate weiß nicht, dass er im Team ist, auch wenn ich allein in den Kampf ziehe. Er hat es verdient, dass ich ihm sage, dass meine Abwesenheit nichts mit seinem Versagen oder Fehlermachen zu tun hat. Und wenn dem so wäre, dann hätte er auch das zu wissen verdient. Ich denke, er verdient es, meinen Drachen zwar niemals persönlich zu treffen, das angerichtete Chaos aber erklärt zu bekommen. Beschreibungsversuche bekommt, was mein Herz so zittern und meine Kraft ungesehen schwinden lässt. Ich sage nicht, dass es leicht ist. Und auch nicht, dass alle Partner so reagieren, wie es meiner tat und heute immer tut, wenn der Drache brüllt. Aber die gemeinsamen Monate ohne größere Rebellionen in meiner Seele, die gefüllt waren mit Liebe und Lachen und Leichtigkeit, die lassen wir uns nicht nehmen. Und die geben uns das nötige Vertrauen, die schlechten Tage durchzustehen. Auch wenn das bedeutet, dass ich mehr Zeit für mich brauche. Dass er vieles nicht nachvollziehen kann und deswegen ratlos meine Hand hält. Mich mein irrationales schlechtes Gewissen, dass ich SCHULD an unserer Situation habe, fast durchdrehen lässt. Es ist unglaublich schwer auszuhalten, dass jemand anderes einen liebt, wenn man sich selbst buchstäblich zum Kotzen findet. Es lastet als zusätzlicher Zündstoff für die Ausraster der mutierten Echse in meinem Herzen und lässt so manchen schwachen Funken aus seiner Schnauze zur lodernden Flamme werden. Aber die Hoffnung, zurück in gemeinsame Bahnen zu finden, die ist da. Und solange man kommuniziert – auch und manchmal vor allem über die schlimmen Dinge – wird sie gestärkt und gefestigt. Solange beide Teamplayer bleiben wollen und ihr Bestes geben, so lange lohnt es sich, den Ballast on top in Kauf zu nehmen. Wie Journey so schön singt: Don’t stop believing. Und wenn man lieber Einzelkämpfer ist, wenn man es nicht aushält, dass da ein Mitstreiter auf Spielberichte und neue Spielzüge wartet, dann finde ich das absolut nachvollziehbar und in Ordnung. Man muss sich nur mitteilen. Jeder hat das Recht, auszutreten. Aus welchen Gründen auch immer. Aber wenn man sich für das Team entscheidet, dann im Bewusstsein darüber, dass der Partner zuschaut, mitleidet. Und dass man dem Team gegenüber eine Verantwortung trägt. Und dass man aufgefangen wird, wenn die Play-Offs mal wieder scheiße liefen.

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