In den USA wird es schon länger heiß diskutiert und in vielen Medien umgesetzt: die Triggerwarnung. Vor Serien, Filmen und Texten werden
Menschen davor gewarnt, dass behandelte Themen zum erneuten Aufkommen von durchlebten Traumata führen können.
Auch bei uns in Deutschland wird diese Thematik immer häufiger behandelt und merklich häufiger werden Triggerwarnungen geschaltet. Ein Freund erzählte mir vor ein paar Tagen, dass an
Universitäten im Ausland die Triggerwarnung bei manchen Themen schon nicht mehr ausreiche, sondern ganze Themenblöcke – nach Meinung vieler – gänzlich verboten werden sollten, da ihre Behandlung
bei zu vielen Menschen triggern, also einen wunden Punkt treffen, das zum erneuten Erleben von negativen Ereignissen führen kann.
Eine pauschale Entscheidung hierbei halte ich persönlich für eine andere Art der Problemvermeidung, statt eine geeignete Lösung. Denn nicht alle Trigger sind meiner Erfahrung nach schlecht.
Ein Todesfall in der Familie triggerte mich vor ein paar Wochen. Dass ich einen Menschen aus meinem näheren Umfeld verlor, riss bei mir eine Wunde auf, die ich schon verdrängt hatte. Der Tod ist
eigenartig. Bringt er dem einen vielleicht nach einer Krankheit Erlösung, so bedeutet er für die Hinterbliebenen einen großen Haufen an Schmerz, Trauer und vielleicht auch unbeantworteten Fragen.
Dass Menschen sterben ist mir rational immer bewusst, das Leben währt nicht ewig. Aber zu meinem Glück wurde ich die letzten Jahre damit verschont, diese Realität im Alltag ertragen zu
müssen.
Aber nun war es so weit, ein Mensch verließ diesen Planeten, ging über die Regenbogenbrücke ins Paradies oder wurde als ein anderes Lebewesen wiedergeboren oder an was man auch immer glauben
möchte. Und mir wurde vom Leben mit flacher Hand und viel Schmackes bewusst gemacht, dass Menschen irgendwann einfach nicht mehr da sind.
Ich habe schon zuvor Menschen verloren. Aber das war noch zu Zeiten von Kiki 1.0. Diese Menschen starben vor 2012, bevor ich lernte, dass Gefühle in eine Kiste packen und so tun, als wären sie
nicht da, nicht die beste Art und Weise ist durchs Leben zu gehen. Aber jetzt, nach endlosen Kämpfen mit meinem Drachen, mit mehr Verständnis für mich und mein Gefühlsleben, da gibt es diese
Kiste nicht mehr. Alle Gefühle werden wahrgenommen, angeschaut, erlebt. Und so traf mich die Nachricht des Verlustes wie ein Donnerschlag. Grollend und unbarmherzig prasselten
Fassungslosigkeit, Trauer, Ohnmacht aber vor allem Angst auf mich ein. Dieser Todesfall triggerte eine Angst, die ich vor allem vor der Klinikzeit jeden.verfickten.Tag mit mir herumtrug: Die
Angst, dass meine Liebsten sterben. Jede Verabschiedung von Papa und Barbara, jedes „Bis die Tage“ zu Mama, jede Abschiedsumarmung mit Freunden nach einem Kaffeedate endeten in einem Tränenmeer
und Hyperventilation, weil ich mir so sicher war, dass ich die Person nie wieder sehen würde. Dass sie stirbt, bevor ich die Chance habe, meine Liebe zu beweisen und alles für diese Person
getan zu haben. Völlig irrational verstrickte ich mich in Tagträume, die diese Angst schürten und vor der Therapie hatte ich nur die Vermeidungstaktik. Trauer ist ja nicht so mein Ding. Aber ich
durfte lernen, mich von dieser Angst zu lösen, bin entspannter geworden und weiß jetzt (die meiste Zeit des Tages), dass man manche Dinge auch mit ganz viel Willen nicht ändern kann. So auch den
Tod, der uns irgendwann alle holen wird. Und ich ließ diese Angst hinter mir, vergrub den Gedanken an sie unter den Blumenwiesen, die ich in meinem Geist für mehr positive Energie pflanzte.
Und dann wurde ich getriggert.
Ich stand vor den Spinden in der Uni, meinen Bruder am Telefon, und hörte die wirklich schlechten, traurigen Nachrichten. Mein erster Gedanken war „fuck, wir müssen alle sterben.“ Ja, auch ich
muss beim Schreiben ein bisschen schmunzeln, Captain Obvious ist an Deck. Aber das bedeutet eben nicht nur, dass Menschen sterben, bei denen ich die Augen verschließen kann, deren Tod mir nicht
so nahe geht, sondern dass meine Liebsten auch sterben werden. Und scheiße verdammt, davor habe ich richtig Angst. Und diese Angst hat mich eingenommen, mir die Luft abgeschnürt, mir das
Leben wertlos erscheinen lassen. Denn ich traute mir absolut nicht zu, den Tod eines geliebten Menschen zu verkraften. Trauer ist auch nach fast sieben Jahren noch mein Kryptonit. Ich gewöhne
mich langsam an die alles einnehmende Trauer, wenn sich mein Drache aufbäumt, wenn er schreit und tobt oder mich einfach festhält, weint und ich nicht weiß, was ich tun soll. Aber traurig sein,
weil man jemanden wirklich verliert, der als Person nicht mehr existiert, das ist neu. Zumindest für Kiki 2.0. Und all die Momente, in denen ich bei Mama raus um die Ecke gehuscht
bin, um zu heulen, in denen ich bei der Verabschiedung am Telefon mit Papa schon beim herannahenden Gesprächsende den Kloß im Hals spürte, kochten hoch und das angsterfüllte Kribbeln unter der
Haut ließ mein Herz gleichzeitig erstarren und fast explodieren. Erstes spürbares Bedürfnis: Ab in die Kiste! Deckel zu, Stein drauf legen, vergessen. Diese Art von Emotion mag ich nicht, will
ich nicht, akzeptiere ich nicht. Aber wie gesagt, ich bin ja jetzt 2.0, bin wissender, hab mehr drauf. Also nicht in die Kiste sondern aushalten. Sich dem Gefühl stellen, es anerkennen. Was für
eine Scheiße. Mein Kopf sagt mir es geht vorbei, mein Herz kackt sich in die Hose. Aber ich bin besser geworden im Aushalten, muss nicht mehr direkt zur Toilette und alles ausspucken, schaffe es,
nicht unterzugehen. Es dauert seine Zeit, einen Verlust zu verarbeiten, jedem sei freigestellt, wie lange. Manche Tode schmerzen ewig, für immer. Aber es wird besser, sie auszuhalten, diese
dunklen Stunden, diese Stiche ins Herz bei der Erinnerung.
Mariaangela Abeo von der Faces-of-Fortitude-Initiative schrieb vor ein paar Wochen „I am thankful for
triggers. They remind me of things, I did not process yet.“ Und diese Aussage trifft es für mich sehr gut. Trigger bedeuten, dass es Wunden gibt, die noch nicht abgeheilt sind. Triggern kann dich
nur etwas, dass dich bewegt. Sie bedeuten, dass dein Drache bei diesem Thema im Dreieck springt und randaliert. Bei mir ist es die unfassbare Bodenlosigkeit der Trauer, denn auch nach sieben
Jahren, nach mehrmaliger Erfahrung, dass Traurigkeit irgendwann weniger wird, ja sogar verschwinden kann, habe ich so unfassbar viel Angst vor diesem Gefühl. Aber ich bin dankbar für die
Erinnerung daran. Denn auch das will ich besser einschätzen können, ich will aufmerksam sein und mich vorbereiten können. Ich kann mich nicht auf plötzliche Verluste vorbereiten, aber ich kann
mir jetzt schon bewusst machen, dass Trauer immer noch ein wunder Punkt ist. Ich kann mir eingestehen, dass sie mich überrumpeln wird, ich aber nicht an ihr ersticken werde. Dass sie ein Teil von
mir ist, mich aber nicht ausfüllt, nicht mein Leben bestimmt.
Triggerwarnungen sollen für Achtsamkeit sorgen, nicht Angst vor etwas forcieren und/oder fördern. Hätte mich jemand vor der Trauer gewarnt, die mich an diesem Montag vor ein paar Wochen so
unvorbereitet trifft, ich hätte sie vermieden, wäre nicht ans Telefon gegangen, hätte alles dafür getan, das Gefühl zu verleugnen. Durch den Trigger habe ich etwas über mich gelernt, konnte mir
selbst helfen und mir helfen lassen. Mir steht es nicht zu, über Trigger von anderen zu urteilen. Aber die Angst vor der Angst (oder Trauer oder Wut oder whatever) ist der
schlimmste Feind, so viel ist sicher. Sie macht dich klein und wird dir niemals helfen, weiterzukommen.
Kommentar schreiben