Ein Tag im Regen

Ich schrecke hoch. Ein Blick auf den Wecker verrät mir, dass es kurz nach vier ist, um mich herum ist es dunkel. Ich bin allein. Seltsame Bilder und Erinnerungen an weit zurückliegende Zeiten schweben noch wie verschwommene Bindfäden in meinem schlaftrunkenen Kopf, ich schlurfe ins Bad und mit dem Angehen der Glühbirne verschwinden die Gedanken.
Als ich wieder im Bett liege bin ich immer noch allein. Seltsam, denke ich. Aber daran erinnern, ob wir gestern gemeinsam eingeschlafen sind, kann ich mich auch nicht. Müde ziehe ich mir die Decke über den Kopf und finde wieder in den Schlaf.

Der Arbeitsalltag lässt meine innere Uhr um sieben den Tag für mich beginnen, heute bleibe ich bis acht Uhr liegen. Wochenende izdä. Als ich mit der Kaffeetasse in der Hand die Vorhänge beiseite ziehe sehe ich ihn. Er steht draußen auf der Terrasse, im Regen, die Schultern hängen herunter und sein Blick traurig. Ich öffne die Tür und er schaut hoch. „Moin.“ sage ich knapp, nehme ein Feuerzeug vom kleinen Regal und zünde mir eine Zigarette an. Der Drache sagt nichts, er senkt den Blick wieder und dreht mir den Rücken zu. Ein unbeschreibliches Gefühl des Sieges macht sich in mir breit und ich nehme einen großen Schluck aus meinem Ich-hasse-Menschen-Becher.

 

Gestern Abend hat es geknallt im Hause Pinkman. Die ganze Woche schon war die Echse nöhlig und ungehalten, hat mir die Tage unnötig schwer gemacht. Unnötig schwer, denn es hat sich an unserer Lage nicht viel geändert. Wir stecken immer noch inmitten dieser neuen Normalität, die wir vielleicht ablehnen, sie damit aber nicht wegzaubern können. Aber es ist auch nicht schlimmer geworden als die letzten Wochen, stabiles unteres Drittel, nicht cool, aber eben stabil. Und trotzdem meinte der Spitzzahn Tag für Tag Nervosität und Unruhe sähen zu müssen. Gestern Abend hatte ich endlich mal wieder den Mut und die Kraft gleichzeitig, nicht nur dagegenzuhalten, sondern auch mal Dampf abzulassen. Als das Brodeln im Bauch so heftig wurde, dass ich vor der Teezubereitung nochmal ins Badezimmer huschte, stand ich ans Waschbecken geklammert vor dem Spiegel und schaute mir tief in die Augen. „Wie u n f a s s b a r unnötig dieses Abdrehen jetzt ist, Kiki. Bitte, konzentrier dich auf die Fakten und halte dir vor Augen, dass es keinen besonderen Grund gibt, jetzt gerade Panik zuzulassen. Alles ist gerade okay, du hälst dich gut, du bist in keiner Notlage, du bist (weitestgehend) gesund, du kannst atmen und dich bewegen. Lass dir nicht von den negativen Gedanken einreden, wir müssten in die Angst hineingehen, wir brauchen sie gerade nicht, es gibt keine Gefahr. Alles ist okay.“ Ich schloss die Augen und sah den Drachen vor mir, mir gefletschten Zähnen und in Kampfhaltung, aber doch etwas überrascht, dass ich nicht schon mit in sein Freudenfeuer aus Angst und Gedankenkreisel mit eingestiegen war. „Und du, du kleine Kackstelze, wirklich, ich meine es heute todesernst, verpiss dich. Geh einfach, raus, weg, wohin auch immer, verzieh dich. Ich kann es nicht mehr ertragen, ständig diese bekackten Infernos, ich bin es leid.“ Während ich ihm das entgegenwerfe erklingt die genervte Stimme meiner Mutter in meinem Kopf, wenn ich sie damals mal wieder zur Weißglut getrieben hatte. So fühlt sich das an, entnervt zu werden.
„Aber...“ er hebt eine Pranke und setzt zu einer Überzeugungsrede an, ich falle ihm ins Wort, „Halt dein Schnauzen, Brudi. Feierabend.“, und er steht nur noch verdutzt da.
Ich öffne meine Augen wieder und schaue mich selbst im Spiegel an. Richtiger Cringe, dass ich echt so mit etwas rede, das gar nicht in dieser Form existiert und ich dem ganzen noch eine Gestalt gebe.. Das kann ich echt niemandem erzählen.. Aber es funktioniert. Zumindest manchmal. Gestern hat es endlich wieder geklappt. Der Drache trollte sich, ich wusste nicht wohin, war mir auch egal, denn ich wurde leichter. Ich konnte tief durchatmen.

 

 

Ich bin fertig mit meiner Zigarette und nehme den Kaffeebecher in die Hand. Drinnen werfe ich mich aufs Bett und genieße den Platz um mich herum und in mir drin. Platz für Gutes. Als ich mich irgendwann bequemer hinlege und mein Blick nach draußen fällt, steht der Drache weiterhin im Regen. Er schaut mit seinen jetzt runden Kulleraugen sehnsüchtig zu mir herein. Schauspieler. Mein Herz krampft ein wenig, sein Schmerz ist auch meiner, so ist das eben, aber dass er jetzt dort draußen schmollt hat er selbst entschieden. Heute habe ich kein Mitleid. Ich bin einfach nur froh, nach ewigen Niederlagen eine Runde unseres Kampfes für mich entschieden zu haben. Und bei allem Mitgefühl, das ich für unsere Ängste habe, muss ich doch auch zugeben, dass meine Wunden viel tiefer gehen als seine. Und ich suche mir fast nie den Zeitpunkt unserer Auseinandersetzungen aus, da ist er mir weit überlegen. Also soll er heute dort sitzen, soll sich nassregnen lassen und rumheulen, mir komplett egal. Ich hab heute frei, ich fühl mich heute frei. Das will und darf ich genießen. Fuck you, Draco. Zumindest für heute. 

 

Die kleinen Siege zu feiern ist genauso wichtig, wie das Lachen nicht zu vergessen, denkt dran, Peepz! 

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